Bei manchen Autos von Volkswagen oder VAG-Töchtern wie Skoda oder Seat kommt es vor, dass der/die Vordersitze anfangen zu kippeln. Es sind die Sitze mit im Gestell eingebauter Sitzhöhenverstellung betroffen.
Typischer Effekt: Wenn man hinter dem Sitz sitzt, und oben an der Sitzlehne in Fahrtrichtung vor- und zurück bewegt, kippt der gesamte Sitz um mehrere Millimeter bis 1cm vor und zurück, und schlägt an den Endpunkten hart an. Im fortgeschrittenen Stadium kippt der Sitz mit jedem Beschleunigungs/Bremsvorgang an den jeweiligen Endpunkt. Später quietscht es dabei auch.
So ein Fall ist mir unter die Finger gekommen. Eine kurze Internetumschau zu dem Thema ergab, das die Werkstätten das nicht reparieren können und ein neuer Sitz für etwa 400 Euro eingebaut werden muss. (Im Sitz ist der Seitenairbag)
Ich habe mir die Sache näher angesehen und festgestellt, dass das Problem eine konstruktive Schwachstelle im Sitzgestell selbst ist.
Dort sind zwei gestanzte Blechteile Drehbar zusammengefügt. Die mechanische Verbindung ist als Niet ausgeführt. Da die gestanzten Löcher nicht mit ausreichender Präzision für eine Passung hergestellt sind (die Löcher müssten maschinell nachbearbeitet werden), wurde beim zusammenfügen eine Kunststoffhülse eingelegt. Es handelt sich um ein Kompositmaterial aus Kunststoff und „einem Hauch“ eingebettetes Drahtgewebe.
Die Hülse füllt den Zwischenraum zwischen gestanztem Loch und dem Niet spielfrei auf, und verhindert nebenbei Quietschen bei der Sitzhöhenverstellung. Es wird also ein weiterer Arbeitsschritt, das Aufbringen von Schmierstoff, eingespart.
Das freut natürlich den BWL’er, ist aber nicht so haltbar.
Im konkreten Fall ist die Kunststoffhülse ausgeschlagen. Die Hülse hat 0,4mm Wandstärke. Der Niet ist 12,0/10,0mm (abgestuft) und das Loch im Blech 12,8mm.
Sind die Kunststoffbuchsen ausgeschlagen, ergibt sich ein Spiel von 0,8mm pro Nietverbindung (der Sitz hat vorn und hinten auf beiden Seiten einen Niet) und über die Hebelwirkung entsprechendes Spiel an der Lehne.
Doch nun zum Thema: wie repariert man so etwas?
Zunächst war mein Plan, den Niet, der äußerlich Betrachtet 10mm Durchmesser besitzt, eine Nenngröße größer (also 12mm) Auszubohren und eine Schaftschraube einzusetzen.
Mit Entsetzen habe ich dann aber nach dem Ausbohren des ersten Niet die Sache mit der Kunststoffhülse herausgefunden.
Deshalb ist es etwas komplizierter:
Man benötigt zur ordentlichen Reparatur jemand, der einem die passenden abgesetzen Hülsen auf der Drehbank herstellen kann.
Wenn man die Teile hat, dann kann es zur Sache gehen.
Zuerst muss der Sitz ausgebaut werden. Dazu benötigt man ein Werkzeug für 10mm Vielzahnschrauben.
Außerdem:
Hammer, Körner
4 Schrauben M8
4 Muttern selbstsichernd
4 Dicke Unterlegscheiben
Reibahle M12 und Metallbohrer 11,5-11,8
Bohrersatz und Bohrmaschinen – für das große Loch eine langsamlaufende Maschine mit genug Drehmoment. Ich habe den Bohrhammer mit SDS-Bohrfutteradapter benutzt.
Ein Hilfswerkzeug um die gestanzten 12,8mm Löcher ggf. durch vorsichtiges Ausschleifen zu glätten, bis gerade so die gedrehten Hülsen reinpassen. „Dremel“ oder Akkuschrauber mit Rundstab und aufgewickeltem Sandpapier oder dergleichen.
Der Sitz kann mitsamt dem Verschiebemechanismus an den 4 Schrauben abgeschraubt werden, die an den Enden der Sitzschienen eingeschraubt sind. Dabei ist zu beachten, das im Sitz der Seitenairbag eingebaut ist. Das erfordert, das zu keinem Zeitpunkt, während der Sitz ausgebaut, eingebaut wird, oder nicht im Fahrzeug eingebaut ist, die Zündung am Wagen eingeschaltet werden darf. AAAlso den Schlüssel ganz weit weglegen, so das man selbst aus unachtsamkeit (mal eben das Radio anmachen, oder Fenster hoch/runter fahren) nicht eben schnell die Zündung einschaltet. Sonst gibts Fehler im Airbagsteuergerät, Aufleuchtete Lampen im Tacho und keinen Tüv.
Wer also nicht an sich halten kann oder sehr zerstreut ist, klemmt besser vorher die Batterie ab.
Nach lösen der 4 Schrauben (dazu entsprechend den Sitz ganz vor/ganz zurück fahren) den Sitz nach vorn Kippen und unten den gelben Stecker abziehen. Der ist doppelt verriegelt, mit einem gefederten Umgehäuse und einem Klips, da ist es hilfreich das so lange eine zweite Person den Sitz hält, während man unten am Herumfummeln ist. Wer Angst hat wegen dem Airgab kann das auch von der Innenseite machen (der Airbag sitzt außen).
Wer Sitzheizung hat, muss den grünen Stecker auch abstecken.
Wer bisher noch nicht auf die idee kam, die Kopfstütze herauszuziehen, der hat jetzt eine gute Gelegenheit dazu. Ohne Kopfstütze ist er handlicher und geht leichter zur Tür hinaus.
Vor dem Herausheben durch die Tür den Sitz mittig auf den Verstellschienen positionieren, das man sich mit den herausstehenden Schienen nicht das Interiör zur Sau macht.
Den Sitz dann kopfüber auf einen Stuhl abstellen. (Sitzfläche auf Sitzfläche)
Die Sitzhöhenverstellung betätigen und die Nietverbindungen suchen. Sind leicht zu finden.
Die Nieten sind ohne Demontage von Sitzverkleidung und Staufach zugänglich.
Wer da selbst daran herumschraubt, dem brauch ich nicht zu erklären wie man einen Niet ausbohrt, oder?
Geschafft.
Nun die Plastereste herauspopeln, sofern noch etwas davon übrig ist.
Das Material vom Niet ist ziemlich hart, ich hab erst gekörnt und dann 2mm/5mm vorgebohrt und die Bohrer frisch angeschliffen. Dann 11,5mm gebohrt. Meine Handreibahle schafft den letzten halben Millimeter und das Loch wird schön rund.
Mit viel ruhe die Löcher mit der Reibahle (12mm) oder dem Schleifwerkzeug (12,8mm) nur so weit aufreiben/ausschleifen, bis die gedrehte Hülse gerade so saugend hineinpasst.
Dann die Reibeflächen, also die gebohrten Löcher und die Bleche drumherum einfetten (ich habe Fettenhaftschmierfettspray benutzt) und zusammenstecken. Dann die 8er Schraube nehmen, eine Unterlegscheibe auffädeln und durch die in den Blechteilen steckende Hülse fädeln. Eine zweite Unterlegscheibe hält die Hülse an ihrem Bestimmungsort. Die selbstsichernde Mutter sorgt dafür, das sich die Verschraubung im Fahrzeug bei Sitzverstellung und Vibration nicht wieder lösen kann.
Das ganze mit allen 4 Nieten machen, oder mindestens mit den vorderen Zwei, die stärker verschleißen. Danach den Sitz wieder einbauen, das Kabel unterm Sitz nicht vergessen wieder anzustecken.
Viel Erfolg!
Hallo, das ist eine super Beschreibung zur Reparatur.
Bei welchen Fahrzeugen aus dem VAG Konzern, findet man denn diese Sitze? Ich habe einen Octavia aus Ende 2014. Mein Sitz wackelt leider auch, bin mir aber nicht sicher, dass ich dies dank Deiner Anleitung reparieren kann.
Viele Grüße
Arnold
Hallo,
habe das Problem (ausgeschlagene Buchsen) bei meinem Polo 6r.
Sind Sie weitergekommen mit Reparaturmöglichkeiten und hätten Sie evtl. einen Tip zur Reparatur (Werkstatt) für mich.
(Mailadresse)
Gruß, Andreas Goller